14.02.2025
«Manche Paare können sich eine künstliche Befruchtung einfach nicht leisten»

Alter, Krankheit, Gene, Lebensstil, Umwelt und Spermienqualität – Unfruchtbarkeit ist häufig ein vielschichtiges, manchmal auch rätselhaftes Problem, für das es keine Patentlösung gibt. Interview mit der Ärztin Isabelle Streuli, Leiterin der Abteilung für Reproduktionsmedizin am Universitätsspital Genf.

Bertrand Beauté
Bildrechte: Nicolas Righetti, Lundi13

Unfruchtbarkeit wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als «grosses Gesundheitsproblem» bezeichnet und bereitet angesichts sinkender Geburtenraten in den westlichen Ländern Sorgen. In der Schweiz hat etwa jeder sechste Erwachsene Schwierigkeiten, im Laufe seines Lebens ein Kind in die Welt zu setzen. Ist Gefahr im Verzug? Wir haben darüber mit der Ärztin Dr. Isabelle Streuli gesprochen. Sie leitet die Abteilung für Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie am Universitätsspital Genf.

Die Probleme mit der Unfruchtbarkeit nehmen weltweit zu. Warum?

Für die Fruchtbarkeitsprobleme eines Paares können verschiedene Faktoren verantwortlich sein, aber der entscheidendste ist das Alter der Frau, da Menge und Qualität der Eizellen mit zunehmendem Alter drastisch abnehmen. Nun entscheiden sich die Frauen aber immer später für Kinder, was mathematisch das Risiko erhöht, dass sie Schwierigkeiten haben, schwanger zu werden. Bei Frauen ab 40 ist das Risiko der Unfruchtbarkeit, das heisst, dass sie innerhalb von zwölf Monaten regelmässigen, ungeschützten Geschlechtsverkehrs nicht schwanger werden, um das Sechsfache erhöht.

Legt man nicht zu viel Lasten auf die Schultern der Frauen, indem man ihr Alter als wichtigsten Risikofaktor für die Unfruchtbarkeit betrachtet?

Das Alter der Männer spielt ebenfalls eine Rolle, aber in geringerem Masse. Man muss jedoch anmerken, dass die Unfruchtbarkeit in den meisten Fällen auf ein Zusammentreffen mehrerer kleiner Faktoren zurückzuführen ist, die sowohl den Mann als auch die Frau betreffen und zusammengenommen die Wahrscheinlichkeit, eine Schwangerschaft herbeizuführen, verringern. Allgemein lässt sich feststellen, dass 30 Prozent der Fälle von Unfruchtbarkeit eines Paares mit der Frau zusammenhängen, 30 Prozent mit dem Mann und 20 Prozent mit beiden. Die Frauen sind also nicht die einzigen Verantwortlichen! Die verbleibenden 20 Prozent sind Unfruchtbarkeitsprobleme, deren Ursachen nicht bestimmt werden konnten, was für die betroffenen Paare sehr schwer zu akzeptieren ist. Sie möchten eine klare Antwort auf ihr Problem haben, doch die können wir ihnen nicht immer geben. 

Was sind die Hauptursachen der Unfruchtbarkeit, sofern sie erkannt werden?

Bei der Frau können Störungen des Eisprungs, Eileiterläsionen, Krankheiten wie Endometriose oder auch sexuelle Probleme wie die Unfähigkeit zum Geschlechtsverkehr für die Unfruchtbarkeit verantwortlich sein, bei Männern eine verminderte Menge oder Beweglichkeit der Spermien. Aber es ist wichtig, festzuhalten, dass Unfruchtbarkeit nicht unbedingt mit Sterilität gleichzusetzen ist, weil die Fruchtbarkeit natürlichen Schwankungen im Zeitverlauf unterliegt. Die Anzahl der Spermien in der Samenflüssigkeit fluktuiert, und der Eisprung kann ebenfalls unbeständig sein und findet nicht immer zur gleichen Zeit im Menstruationszyklus statt. Etwa 15 Prozent der Paare können innerhalb von einem Jahr auf natürliche Weise keine Kinder zeugen und gelten daher als unfruchtbar. Wenn sie es ein zweites Jahr lang versuchen, ohne etwas Besonderes zu tun, sinkt dieser Wert auf 7 Prozent. Einem Teil der Paare, die sich ihren Kinderwunsch auf natürlichem Weg nicht erfüllen können, würde es in den folgenden Jahren gelingen, wenn sie es weiter probieren würden. Daher spricht man im angelsächsischen Sprachraum hier von Subfertilität und nicht von Unfruchtbarkeit. Gleichwohl ist die Schwierigkeit, eine Schwangerschaft herbeizuführen, für diejenigen, die damit konfrontiert sind, ein enormes psychisches Leiden, das erhebliche Auswirkungen auf das Paar hat. Deshalb sind spezielle ärztliche Konsultationen wichtig.

Studien haben gezeigt, dass die Spermienkonzentration pro Milliliter seit den 1970er-Jahren gesunken ist. Warum ist das so?

Die Ursachen sind weitgehend unbekannt. Allerdings vermuten die Wissenschaftler einen Zusammenhang mit der Exposition gegenüber chemischen Molekülen, insbesondere endokrinen Disruptoren. Dieser Rückgang ist beunruhigend, weil wir nicht wissen, wann er aufhören wird. Der Wert liegt aber noch über dem Grenzwert von 20 Millionen Spermien pro Milliliter, ab dem die WHO die Fruchtbarkeit als beeinträchtigt ansieht.

Auf dem Markt gibt es zahlreiche Apps und Ovulationstests, die man zu Hause durchführen kann. Helfen sie Paaren wirklich dabei, eine Schwangerschaft herbeizuführen?

Paare benutzen die Apps oft, um den fruchtbarsten Zeitraum zu bestimmen, aber es gibt keine wissenschaftlichen Studien, die belegen, dass sie wirksam sind. Ausserdem haben sie alle einen anderen Algorithmus, aber ich denke, dass einige von ihnen bei Frauen mit regelmässiger Monatsblutung gut funktionieren. Das sind jedoch diejenigen, die sie am wenigsten brauchen. Urin-Ovulationstests verbessern die Chancen auf eine Schwangerschaft für Frauen unter 40 Jahren, die nicht unfruchtbar sind. Aber auch hier handelt es sich um die Personen, die sie am wenigsten benötigen.

Welche Lösungen bieten die Dienste der medizinisch unterstützten Fortpflanzung an?

Wir suchen zunächst nach den Ursachen der Unfruchtbarkeit und schlagen dann, je nach Diagnose, geeignete Lösungen vor. Als erste Massnahme empfehlen wir, den Lebensstil anzupassen, da sich Faktoren wie Übergewicht, Tabak- und Alkoholkonsum oder auch übermässiger Sport negativ auf die Chancen, schwanger zu werden, auswirken können. Anschliessend bieten wir medizinische Behandlungen an. In bestimmten Fällen von Endometriose oder Deformation der Gebärmutterhöhle durch Myome können wir eine Operation vornehmen. Bei einer Ovulationsstörung muss eine Hormonbehandlung erfolgen, unabhängig davon, ob sie mit einer künstlichen Befruchtung verbunden ist oder nicht – falls nicht schwerwiegende Störungen im Spermogramm vorliegen. Vor allem bei Schädigungen der Eileiter, schwerer Endometriose oder bei gravierenden Erkrankungen des Mannes greifen wir auf die In-vitro-Fertilisation zurück. Bei schweren Erkrankungen des Mannes, besondere bei fehlendem Sperma, bietet sich die Samenspende als Option an.

Was sind die wichtigsten Innovationen bei der medizinisch unterstützten Fortpflanzung seit der ersten IVF im Jahr 1978?

Es gibt viele. Mit einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI), die seit den 1990er-Jahren praktiziert wird, können Männer mit schwerer Oligoasthenospermie, einer sehr geringen Befruchtungsfähigkeit der Spermien, mit ihrer Partnerin eine IVF durchführen. Die Präimplantationsdiagnostik (PID-M) ist seit 2017 in der Schweiz zugelassen. Sie kann verhindern, dass Paare, die seltene Erkrankungen und schwere genetische Defekten haben oder in sich tragen, diese auf ihr Kind übertragen. Die Präimplantationsdiagnostik von Aneuploidien (Anomalien in der Chromosomenzahl), kurz PGD-A, richtet sich an Paare, die sich einer IVF unterziehen. Bei der PGD-A geht es um die Rückführung nur jener Embryonen in die Gebärmutter, die über eine ausreichende Anzahl von Chromosomen verfügen. Das erhöht die Chancen auf eine Schwangerschaft und verringert das Risiko einer Fehlgeburt. Seit die PID in der Schweiz zugelassen ist, beobachten wir eine starke Nachfrage nach dieser Behandlung.

Die Erhaltung der Fruchtbarkeit (Kryokonservierung von Keimzellen) gewinnt ebenfalls an Bedeutung. In diesem Bereich war die Vitrifikation – dabei werden die Eizellen direkt in flüssigen Stickstoff mit einer Temperatur von -196 Grad Celsius getaucht und dadurch sehr schnell abgekühlt – eine grosse Innovation. Denn sie erzielt bessere Ergebnisse als die bisher angewandte, langsame Kryokonservierung. In den kommenden Jahren könnten mehrere weitere Innovationen die Patientenversorgung verbessern, vor allem die nichtinvasive PID. Sie macht die Entnahme von Embryozellen überflüssig, weil man die genetische Analyse an der Follikelflüssigkeit durchführt. Darüber hinaus ist eine immer stärkere Robotisierung und Automatisierung der Techniken der medizinisch unterstützten Fortpflanzung zu beobachten.

In der Schweiz stagniert die Anwendung der IVF seit 2010 mit durchschnittlich 2’000 Geburten pro Jahr. Warum?

Anders als die hormonelle Stimulation oder die Insemination wird die IVF in der Schweiz nicht von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen. Manche Paare können sich diese Behandlung schlicht und einfach nicht leisten. Sie wissen, dass sie relativ teuer ist und dass oft mehrere IVF-Zyklen nötig sind, bevor es zu einer Schwangerschaft kommt.

«In einigen Ländern ist Fertilität zu einem grossen Geschäft geworden»

Manche Paare entschliessen sich, ins Ausland zu gehen, wo die IVF viel billiger sind.

Bei den im Internet angegebenen Preisen ist Vorsicht geboten, denn man weiss nicht immer, was inbegriffen ist und was nicht. Oft erhöht sich die Rechnung im Nachhinein durch all die Tests und Medikamente, die noch hinzukommen.

Die Patienten suchen im Ausland auch nach Behandlungen, die in der Schweiz nicht zugelassen sind, wie beispielsweise die IVF mit Eizellspende und die Leihmutterschaft. Was halten Sie davon?

In einigen Ländern ist die Fruchtbarkeit zu einem grossen Geschäft mit rein kommerziell ausgerichteten Zentren für medizinisch unterstützte Fortpflanzung geworden. Manchmal werden die Patienten zu Geiseln dieses Systems. Denn wenn man einmal eine Behandlung begonnen hat, um eine Familie zu gründen, ist es sehr schwierig, damit aufzuhören, bevor man tatsächlich eine Schwangerschaft erreicht hat. Das verleitet einige Patienten dazu, mehrere IVF-Versuche zu unternehmen und sich zu verschulden. Wir versuchen hingegen, unsere Rolle als Ärzte beizubehalten. Wir sprechen mit den Patienten und zeigen ihnen alle Möglichkeiten auf. Wenn eine Frau beispielsweise eine Eizellspende benötigt, um ihren Kinderwunsch zu erfüllen, informieren wir sie darüber, dass dies in der Schweiz nicht möglich ist, dass diese Technik aber anderswo zugänglich ist.
 

Bei der Leihmutterschaft ist das jedoch anders. Das Schweizer Gesetz ist viel restriktiver und sieht Gefängnisstrafen für die Vermittler vor. Aus diesem Grund können wir unseren Patienten nicht raten, eine Leihmutterschaft im Ausland in Anspruch zu nehmen.

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