Verfügbarkeit: Frühestens 2025
Potenzielle anwendungen: Behandlung von Melanomen, Bauchspeicheldrüsenkrebs und potenziell auch anderen Krebsarten

Moderna und BioNTech hatten beim Kampf gegen das Coronavirus ihren grossen Auftritt. Allerdings stand für beide Biotech-Unternehmen von Anfang an die Krebstherapie im Vordergrund. Gewissermassen per Zufall kam es dazu, dass die Pandemie deren Technologie – die Verwendung von mRNA zur Stimulierung des Immunsystems – bestätigte.

Das Grundprinzip ist das Gleiche, sowohl bei Viren wie bei Tumoren. Im Fall einer Krebserkrankung entnehmen die Ärzte durch eine Biopsie ein Stück des Tumors und identifizieren dann die spezifischen Proteine, die von den Krebszellen exprimiert werden. Anschliessend werden mRNAs hergestellt, die für diese Proteine kodiert sind, und dann den Patienten wieder injiziert. Sie lösen eine Immunreaktion aus, die sich gegen den Tumor richtet. 

Und das scheint zu funktionieren: Im Mai 2023 stellte die deutsche Firma BioNTech in der Zeitschrift "Nature" die vielversprechenden Ergebnisse einer gemeinsam mit dem Schweizer Roche-Konzern durchgeführten Phase-1-Studie mit einem mRNA-Impfstoff gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs vor. Moderna gab Ende 2023 bekannt, dass sein Impfstoff, kombiniert mit dem Blockbuster Keytruda von Merck & Co., bei Melanomen das Rückfallrisiko um 44 Prozent und das Metastasenrisiko um 65 Prozent senken kann. 

"Diese Ergebnisse sind extrem ermutigend", betont Olivier Michielin. "Unser Immunsystem begleitet uns unser ganzes Leben lang. Wenn es uns gelingt, es so zu stimulieren, dass es Tumoren angreift, wird es stets für uns arbeiten und damit Rückfällen vorbeugen." Moderna-Chef Stéphane Bancel zufolge könnte bereits 2025 ein mRNA-Impfstoff gegen Krebs auf den Markt kommen. Olivier Michielin ist vorsichtiger: Er rechnet damit, dass diese neuen Behandlungen erst in vier bis fünf Jahren verfügbar sein werden.

Verfügbarkeit: Seit 2011 (in den USA)
Wichtigste anwendungen: Behandlung von Lymphomen,
Melanomen sowie Darm- und Lungenkrebs
Potenzial: Mehr als 4’000 laufende klinische Studien (2021)

Im medizinischen Kontext sprechen Onkologen davon, dass Krebszellen "intelligent" seien. Und das aus gutem Grund: Sie sollten zwar eigentlich vom Immunsystem des Patienten erkannt und vernichtet werden, aber sie schaffen es, der körpereigenen Abwehr zu entgehen und sich zu vermehren. "Die echte Revolution der Immuntherapie bestand darin, den
Mechanismus zu entdecken, wie Krebszellen das Immunsystem blockieren, und in der erfolgreichen Aufhebung dieser Blockade", erklärt Professor Olivier Michielin von den HU Genf. "Diese Entdeckung hat James P. Allison und Tasuku Honjo 2018 den Nobelpreis für Medizin für ihre Arbeiten zur Immuntherapie eingebracht."

Zum Hintergrund: Einige Krebszellen besitzen auf ihrer Oberfläche das Protein PD-L1 (Programmed Death-Ligant 1). Dieses Protein kann sich mit einem anderen Protein, dem PD-1 ("Programmed Cell Death Protein
1") verbinden, das auf der Oberfläche von Immunzellen, den T-Lymphozyten, zu finden ist. "Die Bindung zwischen PD-1 und PD-L1 inaktiviert die T-Lymphozyten, sodass die Krebszellen dem Immunsystem entkommen können", erklärt Olivier Michielin. Daher haben die Pharmaunternehmen Moleküle entwickelt, die verhindern können, dass sich die Proteine PD-1 und PD-L1 verbinden, um die Fähigkeit der T-Lymphozyten, die Krebszellen zu zerstören, wiederherzustellen. 

Man spricht von Immuntherapien mit PD-1- oder PD-L1-Blockern. "Diese Therapien haben sich bei der Behandlung bestimmter Krebsarten wie Lymphomen, Melanomen, Darm-, Lungen- und Nierenkrebs sowie Kopf-Hals- Tumoren als wirksam erwiesen", präzisiert Olivier Michielin. "Es laufen klinische Studien, um ihre Wirksamkeit bei anderen Tumoren zu testen."
Zahlreiche Pharmakonzerne haben Immuntherapien mit PD-1- oder PD-L1-Blockern in ihrem Portefeuille, etwa Merck & Co. (Keytruda) und Roche (Tecentriq). "Die Immuntherapie, die seit rund zehn Jahren eingesetzt wird, verzeichnet ein starkes Wachstum", unterstreicht Rose Nguyen. "Und dieser Trend wird sich in dem Masse fortsetzen, wie sie ihre Wirksamkeit gegen weitere Krebsarten unter Beweis stellt."

Verfügbarkeit: Seit 2000 (in den USA)
Wichtigste anwendungen: Brustkrebs, Blasenkrebs, Multiples Myelom und Lymphombehandlung
Potenzial: 2020 wurden mehr als 110 ADC in klinischen Studien untersucht.)

"Die klassischen Chemotherapien verursachen viele Nebenwirkungen, weil sie nicht nur Krebszellen, sondern auch gesunde Zellen treffen. Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADC für "Antibody-Drug Conjugates") sind zielgerichtete Therapien, die die Tumorzellen zerstören und dabei die gesunden Zellen schonen", erklärt Professor Olivier Michielin. "Sie haben zu beeindruckenden Ergebnissen geführt, insbesondere bei der Behandlung von Brustkrebs." Wie funktioniert das? Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, das heisst mit einem Krebsmedikament gekoppelte Antikörper, sind synthetische Konstrukte, die aus einem Antikörper und einem zytotoxischen,
also zellabtötenden Wirkstoff gebildet werden. Der Antikörper erkennt ein Ziel auf den Krebszellen und heftet sich dort an, sodass der zytotoxische Wirkstoff sie zerstören kann.

Laut einer Studie von Markets & Markets wird der weltweite Markt für ADC bis 2028 voraussichtlich 19,8 Mrd. Dollar erreichen, gegenüber 9,7 Mrd. Dollar 2023. Das entspräche einem jährlichen Wachstum von 15,2 Prozent. Zu den wichtigsten Akteuren in diesem Bereich gehören Roche (mit Kadcyla), AstraZeneca und Daiichi Sankyo (mit Enhertu) sowie Pfizer (Padcev). "Antikörper-Wirkstoff-Konjugate sind nicht bei allen Krebsarten wirksam", präzisiert Olivier Michielin, "weil wir nicht für alle Tumoren ein Ziel haben. Ich denke, dass die Anwendungen von ADC mit der Entdeckung neuer Ziele zunehmen werden."

Verfügbarkeit: Seit 2017 (in den USA)
Wichtigste anwendungen: Akute lymphatische Leukämie (ALL) und verschiedene Lymphome
Potenzial: 2023 liefen knapp 1’000 klinische Studien mit CAR-T-Zelltherapien.

Emily Whitehead ist noch einmal davongekommen. 2012 gab es für das amerikanische Mädchen, das an einer Leukämie litt, die auf keine der herkömmlichen Therapien ansprach, scheinbar keine Hoffnung mehr. Als letzte Chance schlugen die Ärzte des US-Universitätskrankenhauses in Philadelphia ihren Eltern vor, sie in eine klinische Studie aufzunehmen, bei der CAR-T-Zellen getestet werden sollten. Knapp einen Monat später war ihr Krebs besiegt. Wie funktioniert dieses Wunder, das als CAR-T-Zelltherapie bezeichnet wird? "Es geht darum, dem Patienten T-Lymphozyten (eine Art von weissen Blutkörperchen, die für das Immunsystem von entscheidender
Bedeutung ist, Anm. d. Red.) zu entnehmen und sie genetisch so zu verändern, dass sie ein Protein namens CAR exprimieren", antwortet Olivier Michielin. "Sobald sie dem Patienten wieder injiziert werden, beginnen die veränderten T-Lymphozyten, die zu "CAR-T-Zellen" geworden sind, sich zu vermehren, Krebszellen aufzuspüren und zu zerstören. Denn das CAR-Protein wirkt wie der Suchkopf einer Rakete. Es ermöglicht den Lymphozyten, die Krebszellen zu erkennen und sich daran anzuheften."

Die Beratungsfirma Vision Research erwartet weltweit ein starkes Wachstum des Markts für CAR-T-Zelltherapien, um jährlich rund 30 Prozent zwischen 2023 und 2032. Dann könnte er 88,52 Mrd. Dollar erreicht haben, im Vergleich zu 8,44 Mrd. Dollar Stand heute. Zu den Firmen, die dafür am besten aufgestellt sind, gehören Kite Pharma aus Kalifornien, eine Tochtergesellschaft von Gilead Sciences, und der Schweizer Riese Novartis.

Verfügbarkeit: Seit 2009 (in Europa)
Wichtigste anwendungen: Behandlung von Eierstockkrebs, Lymphomen und Lungenkrebs
Potenzial: Mehr als 100 laufende klinische Studien

Eine andere Form der Immuntherapie sind bispezifische Antikörper (BsAb oder BsMAb für Bispecific Monoclonal Antibody). Dies sind synthetische Proteine, die sich gleichzeitig an Krebszellen und an Lymphozyten anhaften können, sodass Letztere die Ersteren zerstören können. Es sind bereits mehrere Arzneimittel mit bispezifischen Antikörpern auf dem Markt, beispielsweise das von der US-Biotech-Firma Amgen entwickelte Blincyto zur Behandlung der akuten lymphoblastischen Leukämie und Rybrevant von Janssen, einer Tochterfirma von Johnson & Johnson, das zur Behandlung von Patienten mit nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC für Non-Small-Cell Lung Cancer) zugelassen ist. "Bispezifische Antikörper haben interessante Ergebnisse bei der Behandlung von soliden, spezifischen Tumoren und bestimmten Lymphomen geliefert", so Olivier Michielin. "Ihr Einsatz könnte auf andere Tumore ausgeweitet werden, sofern auf den Krebszellen Ziele identifiziert werden, an die sich die Antikörper binden können."