Immer mehr Erwachsene leiden unter Fruchtbarkeitsproblemen, ihr Anteil steigt seit 50 Jahren stetig an. Weltweit ist heute jeder sechste davon betroffen. Damit wächst auch die Branche, die sich mit der Diagnose von Kinderlosigkeit und der Behandlung von unerfülltem Kinderwunsch beschäftigt.
Bertrand Beauté
Sie feiert 2025 ihren 40. Geburtstag: Yelena, das erste Schweizer «Retortenbaby», das 1985 im Krankenhaus von Locarno nach einer In-vitro-Fertilisation (IVF) geboren wurde. Damals war sie eine Ausnahme, aber heute ist das nicht mehr der Fall. In der Schweiz kommen jedes Jahr mehr als 2’000 Babys nach einer künstlichen Befruchtung zur Welt, fast 3 Prozent der Lebendgeburten. Seit 2010 stagniert diese Zahl hierzulande aufgrund einer restriktiven Gesetzgebung, doch in den meisten westlichen Ländern ist die Tendenz steigend. Laut der wissenschaftlichen Zeitschrift «The Lancet» (Juli 2024) beläuft sich der Anteil der durch IVF gezeugten Babys in den Industrieländern auf 9 Prozent, 2010 lag er noch bei rund 2 Prozent.
«Seit der Geburt des ersten Retortenbabys 1978 in Grossbritannien ist der weltweite Markt rasch gewachsen», sagt Kay Eichhorn-Schott, Portfoliomanager bei Berenberg. Allerdings sei IVF immer noch relativ selten: «Nach Angaben der European Society of Human Reproduction and Embryology wurden 2018 weltweit etwa eine Million Retortenbabys geboren, was weniger als 1 Prozent der Gesamtzahl der Geburten ausmacht. Der Markt wird also weiterwachsen», stellt der Portfoliomanager fest.
Dieser Ansicht ist auch Marine Dubrac, Co-Managerin des Wellness-Fonds bei Thematics Asset Management. Denn sowohl die starke Nachfrage als auch das steigende Angebot trage dieses Wachstum. Wie steht es mit der Nachfrageseite? Unfruchtbarkeit – definiert als die Unfähigkeit, innerhalb von zwölf oder mehr Monaten regelmässigen ungeschützten Geschlechtsverkehrs ein Kind zu zeugen – betrifft laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) mittlerweile 17,5 Prozent der Weltbevölkerung, das heisst jeden sechsten Erwachsenen. Diese Zahl steigt seit 50 Jahren stetig an, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass sich die Erwachsenen immer später dafür entscheiden, eine Familie zu gründen.
Das Alter – vor allem das der Frau, aber in geringerem Masse auch das des Mannes – sei der wichtigste Faktor für Unfruchtbarkeit, erklärt Marine Dubrac. «Mit 25 Jahren hat ein Paar eine Chance von 25 Prozent, dass die Frau in jedem Zyklus schwanger wird, mit 35 Jahren sind es 12 Prozent und mit über 40 Jahren weniger als 5 Prozent.» In der Schweiz etwa lag 2023 das Durchschnittsalter von Frauen bei der Geburt eines Kindes bei 32,4 Jahren, 1971 noch bei 27,7 Jahren, wie aus den Daten des Bundesamts für Statistik (BFS) hervorgeht. Das Durchschnittsalter der Männer liegt heute bei 35,3 Jahren, gegenüber 34 Jahren im Jahr 2007. «Wir rechnen damit, dass sich der Trend bei den Frauen, später in ihrem Leben Babys zu bekommen, in den nächsten Jahren fortsetzt und dass daher immer mehr von ihnen eine IVF in Anspruch nehmen werden», konstatiert Kay Eichhorn-Schott. Ein weiterer Nachfragetreiber ist die Tatsache, dass die Methoden zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung (MUF) in einigen Ländern mittlerweile auch für alleinstehende Personen sowie für gleichgeschlechtliche Paare angeboten werden.
Schliesslich heizen auch Schwellenländer wie Indien und China das Wachstum dieses Sektors an: «Mit einer wachsenden Mittelschicht erhöht sich die Nachfrage. In China ist der Fertilitätssektor sehr stark», so Kay Eichhorn-Schott.
Und die Angebotsseite? Der medizinische Fortschritt hat zu Technologien geführt, die eine bessere Diagnose, eine Keimzellenkonservierung (Vitrifikation) und eine ganze Reihe von innovativen Lösungen für bestimmte Fortpflanzungsprobleme ermöglichen. Denn die klassische In-vitro-Fertilisation ist nur eine von vielen Methoden. Es gibt auch die Übertragung von Sperma in den Genitaltrakt einer Frau (Insemination), die intrazyto-plasmatische Spermieninjektion, die Präimplantationsdiagnostik oder die Leihmutterschaft. «Innovationen sind in der Tat entscheidend, um die Erfolgsquoten bei den Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung zu verbessern», sagt Kay Eichhorn-Schott.
Was sind die Konsequenzen? Das Marktforschungsinstitut Imarc Group rechnet damit, dass der weltweite Markt für Fruchtbarkeitsdienste von 46,1 Mrd. Dollar im Jahr 2024 auf 142 Mrd. Dollar im Jahr 2033 ansteigen wird, was einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 12,65 Prozent entspräche.
Marine Dubrac, Co-Managerin des Wellness-Fonds bei Thematics Asset Management
Bei «The Lancet» ist man vorsichtiger und schätzt, dass sich der Markt, der 2023 bei 34,7 Mrd. Dollar lag, bis 2033 auf 62,8 Mrd. Dollar anwachsen werde. «Es ist schwierig, die Grösse des weltweiten Markts für Fertilitätsdienste einzuschätzen, weil sie stark davon abhängt, was man darunter versteht», betont Marine Dubrac. «Sicher ist aber, dass es sich um eine boomende Branche mit einem prognostizierten Wachstum von jährlich 8 bis 10 Prozent handelt.»
Die Investmentfonds haben dieses Potenzial offenbar erkannt. So hat der amerikanische Fonds KKR im Januar 2023 für 3 Mrd. Dollar IVIRMA, den Weltmarktführer unter den Kinderwunschkliniken mit mehr als 190 Einrichtungen in 15 Ländern, erworben. Erst vor wenigen Monaten kündigte Amulet Capital Partners die Übernahme von Genetics & IVF Institute an, das auf das Einfrieren von Spermien und Eizellen spezialisiert ist. Der Betrag wurde nicht genannt.
Und die französische Private-Equity-Firma Astorg hat Ende 2024 gleichzeitig Hamilton Thorne, einen bis dahin an der Toronto Stock Exchange kotierten Anbieter von MUF-Materialien, und den Geschäftsbereich Reproduktionsmedizin von Cook Medical erworben. Durch diese Doppelakquisition wird Astorg zu einem der weltweit führenden Unternehmen in diesem Segment, das klinische Ausrüstungen, Diagnostikinstrumente und Verbrauchsmaterialien herstellt, die für die In-vitro-Fertilisation erforderlich sind. Auf diesem Markt wird Astorg gegen zwei andere börsenkotierte Branchenführer antreten: die schwedische Firma Vitrolife mit einem Wert von rund 2,5 Mrd. Euro an der Stockholmer Börse und CooperSurgeries in Amerika, eine Tochtergesellschaft von CooperCompanies, die an der Nasdaq mit rund 20 Mrd. Dollar bewertet wird.
«In den letzten Jahren wurden zahlreiche innovationsstarke Unternehmen von Private-Equity-Firmen aufgekauft. Es ist also damit zu rechnen, dass wir zahlreiche Börsengänge in diesem Bereich sehen werden, wenn sie sich zurückziehen», stellt Marine Dubrac fest. Vorläufig sind aber nur wenige Unternehmen an der Börse kotiert, die sich ausschliesslich dem Thema Fertilität widmen. Abgesehen von Vitrolife und CooperSurgeries handelt es sich auch häufig um Mikrounternehmen wie Nanorepro in Deutschland oder Newgen IVF in Singapur.
Marine Dubrac, Co-Managerin des Wellness-Fonds bei Thematics Asset Management
«Die Gesetzgebung zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung ist von Land zu Land sehr unterschiedlich, was die Entstehung von Global Playern erschwert», betont Marine Dubrac. Zudem handele es sich zwar um einen stark wachsenden Markt, angetrieben von bedeutenden Innovationen. Aber er stecke noch in den Kinderschuhen. «Heute erfordern nur etwa 2 bis 3 Prozent der jährlichen Geburten weltweit eine künstliche Befruchtung, es ist also ein Nischenmarkt. Auf sehr lange Sicht können Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, daher eine gute Investition darstellen, aber die kurzfristige Börsenperformance könnte volatil sein. Für unerfahrene Anleger handelt es sich um einen komplizierten Sektor, dem es noch an Reife fehlt», sagt Marine Dubrac.
Kay Eichhorn-Schott gibt sich da optimistischer: «Angesichts der soliden grundlegenden Faktoren für ein langfristiges Wachstum glauben wir, dass der Sektor der Fruchtbarkeitsdienste für Privatanleger interessant sein könnte.» Der Berenberg-Experte erwartet eine schnelle Rationalisierung des Markts und die Beteiligung grösserer Akteure.
«Wir haben in den vergangenen Jahren eine Konsolidierung des Sektors für Kinderwunschkliniken gesehen. Vor allem in den Vereinigten Staaten sind Ketten entstanden. Sie wollen nicht mit vielen Lieferanten zusammenarbeiten. So werden sie eine Konsolidierung bei den Herstellern von Materialien und Ausrüstungen für die IVF vorantreiben – und hier sind derzeit Vitrolife und CooperCompanies die grössten Akteure.»